Rundgang 2
Von der Neustadt zur Kleinseite - Rundgang 2
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Das Gymnasium, an dem Schriftsteller wie F. Werfel, M. Brod, P. Leppin, Willy Haas, Paul Kornfeld, Franz Janowitz und andere deutsche Schriftsteller studierten.
Franz Werfel beschreibt diesen Ort in seinem psychologischen Roman "Der Abituriententag" (1927), der den Untertitel "Geschichte einer Jugendschuld" trägt und die Gymnasialzeit des Protagonisten Ernst Sebastian darstellt. Nach 25 Jahren verarbeitet er seinen Jugendfehler, als er seinen Klassenkameraden fälschlicherweise des Betrugs beschuldigte und ihm half, Prag zu verlassen, anstatt sein eigenes Vergehen zuzugeben. Werfel beschreibt Spaziergänge durch das nächtliche Prag, wilde Nachtclubbesuche, spiritistische Sitzungen und literarische Partys, die teilweise autobiografisch sind. Der Roman wurde zwei Mal in den Jahren 1965 und 1999 verfilmt. Im Haus nebenan befand sich ein Delikatessenladen, wo sich Werfel und Leppin trafen, um sich von hier auf die abenteuerlichen Umzüge durch Prag zu begehen.

Das Geburtshaus von Paul Kornfeld (11.12.1889-25.4.1942). Kornfeld stammte aus einer
jüdischen Familie und wurde ins Ghetto Łódž deportiert, wo er später starb. Er
widmete sich der Dramaturgie und war Vertreter des expressionistischen
Theaters. Kornfeld sollte Werfels Vorbild für Adler im Roman Der
Abituriententag sein: "Es war unter den Schülern allgemein bekann, dass Adler ein hoch begabter Dichter und Denker sei, Dramen verfasse und philosophische Aufsätze." (46) Er trat als Medium in
spiritistischen Sitzungen auf, an denen auch Max Brod teilnahm.
"Die Sitzungen konzentrierten sich immer deutlicher um Paul Kornfeld, der damals für eine Weile die beherrschende Figur in unserem Doppelkreis wurde. Doppelkreis: Denn Kafka und Weltsch nahmen gleichfalls an den Séancen teil. Kornfeld war unter uns am stärksten medial veranlangt. Oft, wenn die Sitzung mit der typischen Frage an den Tisch begann: "Ist ein Geist im Tisch?", neigte sich der Tisch, auf dem unsere Hände lagen, mit deutlich bereitwilliger, mehr als höflicher Verbeugung sofort ihm zu." (18)

In diesem Haus wohnte von 1892 bis 1895 deutschschreibender Dichter Rainer Maria Rilke (4.12. 1875- 29.12.1926). Rilke war das älteste Mitglied des Prager Kreises und im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Schriftstellern war er nichtjüdischer Abstammung. Während seines Aufenthalts in der Vodičková-Straße veröffentlichte er seine erste Gedichtsammlung Leben und Lieder (1894) und Kurzprosa Generationen und Ewald Tragy. R. M. Rilke ist einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts. Sein poetisches Werk ist von Symbolik beeinflusst, es enthält Themen über den Sinn des Lebens, die menschliche Existenz und Einsamkeit. Rilke berührt in seinen Gedichten oft den Tod und wird deshalb oft als "Dichter des Todes" bezeichnet.
"Ewald Tragy geht neben seinem Vater am »Graben«. Man muß wissen, daß es Sonntagmittag ist und Korso. Die Kleider verraten die Jahreszeit: so Anfang September, abgetragener, mühseliger Sommer. Für manche Toiletten war es nichteinmal der erste. Zum Beispiel für die modegrüne der Frau von Ronay und dann für die von Frau Wanka, blau Foulard; wenn die ein wenig überarbeitet und aufgefrischt wird, denkt der junge Tragy, hält sie gewiß noch ein Jahr aus. Dann kommt ein junges Mädchen und lächelt. Sie trägt blaßrosa Crêpe de Chine, - aber geputzte Handschuhe. Die Herren hinter ihr schwimmen alle durch lauter Benzin. Und Tragy verachtet sie. Er verachtet überhaupt alle diese Leute. Aber er grüßt sehr höflich mit etwas altmodisch betonter Artigkeit."
An dieser Adresse lebte 1891 ein weiteres Mitglied des sogenannten Prager Kreises, der introvertierte Schriftsteller Gustav Meyrink (1868-1932). Er kam aus Wien nach Prag, und obwohl er kein Tschechisch sprach, hatte er Kontakte zu tschechischen Schriftstellern (z.B. J. Zeyer). Zu diesem Zeitpunkt erlebte Meyrink seinen ersten Kontakt mit dem Okkulten, der sein gesamtes schriftstellerisches Schaffen prägt. Er wollte Selbstmord begehen, wurde aber von einem Gemurmel an der Tür unterbrochen: Ich wurde durch ein Gemurmel an der Tür meines Junggesellenzimmers gestört: Das Gespenst, getarnt als Verlagskurier, schob mir eine Publikation über die Schwelle. Wenn der Briefkasten damals draußen gehangen hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht unter den Lebenden.
Diese Erfahrung inspirierte ihn später zum Roman Der Golem, in dem er eine jüdische Legende über den Golem in Verbindung mit Spiritismus, den okkulten Wissenschaften und den aufkommenden Erkenntnissen der Psychologie ausarbeitet. 1902 wurde Meyrink vorgeworfen, seine Kunden in der von ihm gegründeten Bank verschleiert und beeinflusst zu haben. Obwohl das Gericht keine Beweise für Meyrinks Schuld fand, verbrachte er mehrere Monate im Gefängnis. Nach diesem Vorfall verließ Meyrink Prag für immer. Die Stadt wurde für den Rest seines Lebens zur Inspiration für sein literarisches Schaffen. Später konvertierte er zum Buddhismus. Er starb 1932 in Bayern eines mysteriösen Todes, angeblich an einem Herzinfarkt.

Das Slavia Café, dessen
Name vom Panslawismus und der tschechischen Wiedergeburtsbewegung inspiriert
war, wurde 1884 eröffnet. Dank seiner Nähe zum Nationaltheater ist es zu
einem Treffpunkt für tschechische Künstler und Intellektuelle geworden.
1899 schilderte Rainer Maria Rilke diesen Ort in seiner Kurzgeschichte König Bohuš, in der er den nationalen Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen schildert. Die Hauptfigur Rezek verkörperte den Anführer der tschechischen radikalnationalistischen Bewegung "Omladina", die sich gegen gemäßigte Nationalisten abgrenzte.
"Wollen wir da hinüber ins Café? Ein Tschaj wird wohl tun. Kommen Sie. Er schob seine Hand unter den Arm des Buckligen und wollte ihn mitziehen. Bohusch sträubte sich: Aber was glauben Sie, Rezek; wir waren lang genug im Café. Ja so, mit denen. Der Student legte den Ton der Verachtung auf das letzte Wort. Ich will mit Ihnen plaudern, Bohusch; nicht mit diesen grossen Herren, mit diesen Künstlern. Was reden Sie denn, staunte Bohusch, das Volk muss stolz sein auf sie. Rezek blieb stehen und war ganz blass. Wenn diese Menschen lieber stolz sein wollten auf das Volk. Aber glauben Sie mir, sie wissen nichts voneinander - das Volk von ihnen und sie nicht vom Volk. Ich bitte Sie, was sind sie denn, sind das Tschechen, ja?"
Prag wird als Quelle der Mystik dargestellt, die Stadt birgt unzählige Geheimnisse, die tief in die Geschichte zurückreichen. Die tschechische Nation wird als melancholisches bis unglückliches Volk beschrieben, das die Deutschen hasst.

Der Kreuzherrenplatz wird auf der Nordseite von der in den Jahren 1679-1688 erbauten Kirche des Hl. Franziskus von Assisi und im Osten von der in den Jahren 1578-1659 erbauten Kirche des St. Salvatorkirche begrenzt. Bei den Deutschen in Prag war sie als Seminarkirche bekannt. Beide Kirchen erwähnt Franz Kafka in seiner Erzählung "Beschreibung eines Kampfes" (1912), in der er einen Spaziergang zum Laurenzisberg durch das nächtliche Prag im Winter beschreibt.
"Jetzt beim Einbug zur Karlsbrücke nach links konnte ich nach rechts in die Karlsgasse springen. Sie war winklig, es gab dort dunkle Haustore und Weinstuben die noch offen waren; ich musste nicht verzweifeln. Als wir unter dem Bogen am Ende des Quais auf den Kreuzherrenplatz hervortraten, rannte ich mit erhobenen Armen in jene Gasse. Doch vor einer kleinen Türe der Seminarkirche fiel ich, denn dort war eine Stufe, die ich nicht erwartet hatte. Es machte ein wenig Lärm, die nächste Laterne war entfernt, ich lag im Dunkel. ... Mein Bekannter war wohl bis zur Brücke gegangen, ohne meinen Abschied bemerkt zu haben, denn er kam erst nach einer Weile zu mir." (57)

Die Statue der Hl. Ludmila stammt aus der Werkstatt von M.B. Braun aus dem 18. Jahrhundert. Die Statue stellt den Hl. Wenzel beim Lesenlernen dar. In der Erzählung "Die Beschreibung eines Kampfes" bechreibt Franz Kafka den Weg über die Karlsbrücke auf den Laurenziberg. Die Hauptgestallt wird von einem geheimnisvollen Bekannten begleitet.
"Immer, sagte mein Bekannter mit einer Hand mich festhaltend, mit der anderen auf die Statue der heiligen Ludmila zeigend, immer habe ich die Hände dieses Engels links bewundert. Schauen Sie nur, wie zart sie sind! Wirkliche Engelshände! Haben Sie schon etwas ähnliches gesehen? Sie nicht, aber ich ja, denn ich habe heute abend Hände geküsst." (112)

In dieser Strasse spielt ein Teil der Erzählung "Die Geschwister" von Rainer Maria Rilke. Eine Witwe und ihre Kinder sind aus Krumlov nach Prag gezogen. Der Sohn Zdenko begann auf Wunsch seines verstorbenen Vaters ein Studium an der tschechischen Universität in Prag, wo er auf nationalistisch geprägte junge Menschen traf. Auch Rezek aus der Kurzgeschichte "König Bohusch" taucht in der Geschichte auf, der nationalistisch auf die Geschwister wirkt und ihr Denken beeinflusst. Rilke beschreibt hier die Abneigung der Tschechen gegenüber den Deutschen und ihren gesellschaftlichen Status. Darüber hinaus porträtiert er die Tschechen als romantische, melancholische und zerrissene Seelen. Zdenko schließt sich der nationalistischen Bewegung an, deren Gruppen sich im Daliborka-Turm treffen, wo Zdenko an einer Lungenentzündung erkrankt und anschließend stirbt. Seine Schwester Luisa bricht aus Rezeks Einfluss aus und verliebt sich in den deutschen Mieter Landy.
"Mittags waren in dem alten Haus gegenüber der Malteserkirche - drei Treppen hoch - die neuen Mieter eingezogen, und bis zum Abend wusste man nur, dass sie ungewöhnlich grosse Möbel mitgebracht hatten, die in den engen Windungen der Wendeltreppe fast steckengeblieben wären." (144)

Das Palais Thun und seine Umgebung wurden zum Schauplatz von Gustav Meyrinks mystischem Roman Walpurgisnacht. Phantastischer Roman (1917).Dieser Roman ist eine mystische Schilderung der tschechischen Geschichte mit fantastischen Elementen. Meyrink verwendet Prager Legenden und Mythologien, um eine literarische Geschichte darzustellen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spielt. Das Palais Thun wird von Gräfin Zahradka bewohnt, bei der der Geigenspieler Otokar regelmässig Geige spielt. Die Beziehung der Gräfin Zahradka zu Otokar ist von Geheimnissen umgeben, da er wahrscheinlich ihr unehelicher Sohn ist.
"Die Gräfin Zahrádka hatte eine eigentümliche Art, den Studenten zu behandeln. Zuweilen ging von ihr etws auf ihn über, was ihn berührte wie die zärtliche Liebe einer Mutter, aber es dauerte immer nur wenige Sekunden - im nächsten Augenblick fühlte er eine Welle eiskalter verachtung, fast wie Hass. Woher es kam, war ihm nie klargeworden. Es schien mit ihrem ganzen Wesen verwachsen - war vielleicht eine Erbschaft uralter böhmischer Adelsgeschlechter, die seit Jahrhunderten gewohnt gewesen, von demütigen Domestiken umgeben zu sein. " (96)
Im Palais soll es angeblich spuken und hier sei ein riesiger Schatz versteckt: eine goldene Königskrone mit einem Rubin auf der Stirn.
"Der Student stieg die schmale, ziegelsteingepflasterte Treppe hinauf, die ohne einen Vorraum zu berühren, in einen kalten, nüchternen Gang mit Marmorfliesen auslief, in den die Türen der einzelnen Zimmer mündeten. Gott weiß, woher die Sage, es sei in dem kahlen, amtsgerichtsähnlichen Hause ein ungeheurer Schatz verborgen, und es spukte darin, stammen mochte; fast hätte man vermuten können, ein Witzbold habe sie erfunden, um den Widerspruch gegen alles Romantische, der von jedem Stein des gebäudes ausging, noch greller hervorzuheben." (92)
Die Nacht vom 31.4. zum 1.5. ist voll von unerklärlichen Erscheinungen, Gewalt und Hexen. In der Darstellung sind Anspielungen auf tschechische Legenden und Mythen. Unter dem Einfluss der Unruhen von 1897 griffen die Tschechen Deutsche und Juden an. Im Gegensatz dazu sind hier im Kontrast der deutsche Adel und der tschechische Pöbel dargestellt.
"Die Taboriten räumten in fliegender Eile die Steine zur Seite und machten den Weg frei. Der Tatar schoss und schoss, dann warf er seinen Revolver weg und lief im Trab die Gasse hinauf, ins Haus der Gräfin Zahrádka, dessen Fenster hell erläuchtet waren. Unablässig das entsetzliche Trommeln im Ohr, sieht Polyxena sich im Sturm vorwärts getragen, neben sich das ragende, schwankende, tote Pferd, von dem ein betäubender Geruch nach Kampfer ausgeht." (348)

Das Restaurant U Schnellů aus dem Jahre 1787 ist eines der ältesten Restaurants in Prag. Zusammen mit dem Restaurant U Glaubiců, dessen Geschichte bis ins Jahr 1665 zurückreicht, erscheint im Prager Triptychon (1960) von Johannes Urzidil (1896-1970).
"Bei Schnell auf der Kleinseite trank man Pilsener und aß dazu ellenlange dünne Würstel, die von den Canonici von St. Veit besonders geschätzt und daher Domherrnwürstel genannt wurden. Ihrer erfreute sich der Knabe aber nur, wenn der Vater nahebei auf dem Kleinen Waldsteinplatz sich beim Schuster Chleborad seine Schuhe anmessen ließ oder sie anprobierte oder sie abholte. Chleborads Schuhe waren zwar jedesmal zu eng, dafür aber äußerst dauerhaft. Bevor man bei ihm eintrat, stärkte man sich noch bei Schnell, nachher aber suchte man Erholung im Schatten der Niklaskirche bei Glaubitz, wo schon der König Wenzel IV zu zechen liebte."(16)

Das Restaurant U Glaubiců, dessen Geschichte bis ins Jahr 1665 zurückreicht, erscheint im Prager Triptychon (1960) von Johannes Urzidil (1896-1970). Urzidil, der sich aufgrund seiner Herkunft (Vater stammte aus einem deutsch-tschechischen Umfeld, Mutter war Jüdin, später zum katholischen Glauben konvertiert) als "transnational" empfand, porträtiert in seinem Werk das zeitgenössische und historische Prag.
"Ich bin hinternational, pflegte er zu sagen. Hinter den Nationen - nicht über- oder unterhalb - ließ sich leben und durch die Gassen und Durchhäuser streichen, im Stadtpark dem Wächter Kakitz (unsterblich durch Werfelsche Verse) eine Nase drehen und entrinnen oder die Sesselbabbe um den Sesselkreuzer begaunern;" (11)